(Aus Brief von U.v.Beckerath
an Runge)
21.6.1956.
Ihr Brief vom 9.5./14.5./16.6./20.6.
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Das System von 1914
kann so, wie es damals war, nicht wieder eingefuehrt
werden. Die Reichsbank musste
damals, ob sie wollte oder nicht, einem Ziel alle andern
unterordnen, und dieses Ziel war: Verteidigung des Goldschatzes. Verlust an
Gold bedeutete die Notwendigkeit, den Notenumlauf zu beschraenken
und so die Wirtschaft unter Deflation zu setzen. Deflation aber ist ein noch
schlimmeres UEbel als Inflation. Was folgt
daraus?
l.) Das System der
Golddeckung (im alten Sinne) darf nicht wieder eingefuehrt
werden; es ist zu ersetzen durch das System der "Annahmefundation",
sei es Steuerfundation, sei es eine andere.
2.) Das vor 1914
bestandene System der Devisenfreiheit, der voelligen
Freiheit, Gold, Goldmuenzen und anderes Edelmetall zu
uebertragen oder sogar zu horten, muss
wiederhergestellt werden. Anders ausgedrueckt: Freier
Goldmarkt, freier Devisenmarkt. (Sie wissen, dass Meulen
unter "freiem Goldmarkt" etwas ganz anderes versteht als wir. Ich
habe mich inzwischen ueberzeugt, dass - - wenigstens
heute - - in England die Worte "free goldmarket" genau dasselbe bedeuten wie bei uns die
Worte "freier Goldmarkt". Um mich mit Meulen
zu verstehen, habe ich zuletzt immer nur die Worte "free
bullion market"
gebraucht.)
3.) Die Sicherung
durch einen Goldschatz ist ganz aufzugeben und zu ersetzen durch voellig freien Kurs aller Zahlungsmittel am voellig freien Markt. Eine UEberemission
zeigt der freie Kurs mit der gleichen Unfehlbarkeit an
wie der Geigerzaehler eine UEberemission
von Radiumstrahlen. Eine unberechtigte Unterbewertung von Zahlungsmitteln wirkt
sich sofort dahin aus, dass die Schuldner der Emissionsstelle die
unterbewerteten Zahlungsmittel kaufen und damit ihre Schulden bezahlen. Fuer 100 000 DM Papiergeld am freien Markt zum Kurs von 90%
kaufen oder es sich zu hohem Zins leihen, und dann am naechsten
Tag damit Schulden im Betrage von DM 100 000 begleichen - - so ein Geschaeft laesst sich kein
Schuldner entgehen. Sie erkennen, wie auch hier gerade die ruecksichtslose
Gewinnsucht der am Markt Beteiligten eine volkswirtschaftlich guenstige Wirkung produziert, naemlich
den Kurs der Zahlungsmittel sehr rasch auf den richtigen Wert zu bringen.
4.) Beizubehalten ist
die frueher bestandene Erlaubnis, alles in frei
gehandeltem Gold bewerten zu duerfen, Preise, Loehne, Guthaben. Auszudehnen waere
die Erlaubnis auf jede Art von Sachwerten. Warum? Die bloedsinnige
Propaganda gegen das Gold hat sehr viele Leute zu der Meinung gebracht, dass
das Gold eine juedische oder eine jesuitische
Erfindung sei, gemacht zum Zwecke der Auspluenderung
der Deutschen. Den Glaeubigen dieser
Anti-Gold-Religion muss man die Erlaubnis geben, im Verkehr untereinander das
Wertmass anzuwenden, das ihnen selbst als richtig erscheint, Silber oder
Roggen, Kohlen oder Arbeitsstunden oder sonst was. Nach wenigen Wochen sind die
durch eigne Erfahrung bekehrt und fanatische Goldanhaenger.
Die andern aber haben was zu lachen.
5.) Die Emission von
zwangskursfreien, typisierten Zahlungsmitteln ist voellig
freizugeben, ohne aber den Betrugs-Paragraphen aufzuheben. Der Effekt wird
sein, dass das Volk alle Scheine von ihm unbekannten oder ihm verdaechtigen Emissionsstellen ruecksichtslos
ablehnt. Dieser sehr vernuenftige Egoismus (von der
Presse taeglich neu aufzustacheln) reinigt in kuerzester Zeit den Verkehr von ungeeigneten
Zahlungsmitteln, laesst aber die zur
Arbeitsbeschaffung notwendigen Emissionen bestehen.
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Wenn es Ihnen gelingen
sollte, die zuerst von Milhaud - Genf vorgeschlagene Begrenzung der Laufzeit
papierner Zahlungsmittel in die OEffentlichkeit zu
bringen, so werden Sie sich um, Deutschland (und nicht nur um Deutschland) sehr
verdient machen. Milhaud denkt an etwa ein Jahr Laufzeit, ist sich aber darueber klar, dass nicht ein und dieselbe Laufzeit fuer alle Zahlungsmittel richtig ist, auch dass
verschiedene Zustaende verschiedene Laufzeiten
erfordern.
Die Begrenzung schlaegt zwei Fliegen mit einer Klappe:
1.) sie leistet viel mehr als das
Klebesystem des Silvio Gesell. (Bedarf aber immer noch einer Ergaenzung durch das
Recht der freien Emission.)
2.) Die Faelscher
finden einen um so geringeren Anreiz zum Faelschen, je kuerzer die
Laufzeit ist. (Und je beschraenkter das Umlaufsgebiet
und die Menge eines dezentralisiert ausgegebenen Zahlungsmittels ist! - JZ
29/3/83.)
Da grosse
Denominationen nach aelteren
Statistiken zu urteilen, ohnehin nicht lange im Verkehr bleiben
(1000-Markscheine s.Zt. im Durchschnitt nur ein paar
Tage) so kann man die zum Faelschen besonders
einladenden, groesseren Denominationen
mit besonders kurzen Laufzeiten ausstatten ohne den Verkehr zu belaestigen. Ich schaetze den
Wert der Erfindung Milhaud's sehr hoch ein.
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Mit bestem Gruss
Ihr
U.v.
Beckerath
gez.: Bth.
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First published
in: Ulrich von Beckerath: Zur Freiheit, zum Frieden und zur Gerechtigkeit;
Gesammelte Briefe, Papiere, Notizen, Besprechungen. PEACE
PLANS 428-467 (Mikrofiche), Berrima,
Australia, 1983. Pages 3489-3490.